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SPD-Legende Renate Schmidt über die Ampel: „Da greif ich mir ans Hirn“ | Politik


Sie war drei Jahre (2002-2005) die „Powerfrau“ im rot-grünen Kabinett unter Kanzler Gerhard Schröder: Ex-Familienministerin Renate Schmidt (80). Ohne sie gäbe es das Elterngeld nicht, keinen Rechtsanspruch auf Kita oder Kindergarten.

Renate Schmidt wusste früh, wie wichtig Politik für Frauen und Familien ist: Mit 17 Jahren wird sie schwanger – und fliegt 1961 von der Schule.

Begründung: „Sie haben Schande über unsere Schule gebracht.“

Schwanger mit 17 (als „Schande“ von der Schule geflogen), Ausbildung zur Programmiererin beim Versandhaus Quelle, als Betriebsrätin 1972 in die SPD eingetreten, Bundestag, Ministerin – Renate Schmidt (80) hat viel erlebt, konnte sich mit Charme und Klartext in der Männerwelt der Politik stets durchsetzen

Schwanger mit 17 (als „Schande“ von der Schule geflogen), Ausbildung zur Programmiererin beim Versandhaus Quelle, als Betriebsrätin 1972 in die SPD eingetreten, Bundestag, Ministerin – Renate Schmidt (80) hat viel erlebt, konnte sich mit Charme und Klartext in der Männerwelt der Politik stets durchsetzen

Foto: Daniel Löb

Doch beim Versandhaus-Konzern Quelle nimmt man sie in die Lehre – wissend, dass sie schwanger ist. „Es war mein Glück“, sagt Schmidt 63 Jahre später beim Treffen mit BILD in ihrer Heimatstadt Nürnberg: „Dadurch bin ich in einen Beruf geraten, den es damals noch gar nicht gab: Programmiererin.“

Es folgte ein Schwur für ihr Leben: „Ich wollte dazu beitragen, dass niemand mehr einer jungen Frau sagt, sie habe Schande über irgendetwas gebracht, weil sie ein Kind erwartet und dieses Kind auch noch auf die Welt bringen will.“

40 Jahre später wird Renate Schmidt, inzwischen Mutter von drei Kindern, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. In BILD sagt die resolute Bayerin, was sie von der Ampel-Politik hält, von ihrer Nachfolgerin Lisa Paus (Grüne) und Kanzler Scholz.

BILD: Wenn Sie heute auf die Streitereien in der Ampel blicken – denken Sie manchmal: Mein Gott, sind die empfindlich geworden?

Renate Schmidt: „Es war damals natürlich deutlich einfacher, weil wir mit zwei Partnern regierten anstatt mit dreien. Und diese drei Partner haben ja teilweise nur wenig miteinander zu tun. Zu unserer Zeit waren außerdem die Kräfteverhältnisse deutlicher: Gerhard Schröder hat mal von ‚Koch und Kellner’ gesprochen – und der ‚Kellner‘ war Joschka Fischer. Der war darüber nicht besonders amüsiert. Aber es war halt so: Die SPD war die deutlich stärkere Partei. Jetzt sind es drei Partner, die vom Wahlergebnis her so weit nicht auseinander liegen. Da ist natürlich sehr viel schwieriger. Ich bin manchmal schon froh, dass ich heute nicht regieren muss.“

Für Gerhard Schröder war Familienpolitik mehr als „Gedöns“. Zu seinem 80. Anfang April hat ihm die ehemalige Familienministerin dem Altkanzler gratuliert. Sie finde es „kleingeistig, ihn nur auf die absurde Freundschaft mit Putin zu reduzieren“

Für Gerhard Schröder war Familienpolitik mehr als „Gedöns“. Zu seinem 80. Anfang April hat ihm die ehemalige Familienministerin dem Altkanzler gratuliert. Sie finde es „kleingeistig, ihn nur auf die absurde Freundschaft mit Putin zu reduzieren“

Foto: picture-alliance / dpa

BILD: Wo würden Sie heute gerne noch mitmischen? Was regt Sie auf?

Schmidt: „Als Familienministerin finde ich die Vorbereitung der Kindergrundsicherung durch Grünen-Ministerin Lisa Paus nicht besonders gelungen, um es mal sehr sanft auszudrücken. Einfach so herzugehen und zu sagen: Um das umzusetzen, brauche ich 5000 zusätzliche Menschen, die das organisieren. Da lang ich mir ans Hirn. So was hätte ich mich nicht getraut vorzulegen. Ich hätte mich auch niemals getraut, etwas so Unkonkretes überhaupt ins Gespräch zu bringen.“

Schmidt regierte damals unter Schröder mit Urgesteinen wie Hans Eichel (Finanzen) und Wolfgang Clement (Wirtschaft). Schröder hatte einmal klargemacht, was er von Familienpolitik hielt: „Gedöns“. Schmidt musste in Zeiten leerer Kassen auch dagegen kämpfen – eine Frage des politischen Handwerkes: „Als wir null Geld hatten, noch weniger als heute, habe ich das Kita-Ausbaugesetz durchgesetzt. Dafür musste ich stundenlang mit Clement und Eichel verhandeln.“

Dann habe sie den Kanzler überredet, „die Oberbürgermeister der wichtigsten Großstädte einzuladen, damit ich von den Ländern keinen Gegenwind bekomme“. Am Ende habe sie ihr Tagesbetreuungsausbaugesetz „einstimmig, bei Enthaltung der CDU, durch Bundestag und Bundesrat bekommen“.

So MACHT man Politik!

War also früher alles besser – auch die Politiker?

Ihrem alten Chef Schröder wirft sie zwar dessen „Vasallentreue“ und eine „absurde Freundschaft“ zu Kreml-Führer Wladimir Putin vor. Zum 80. Geburtstag habe sie ihm trotzdem gratuliert: „Ich finde, er hat mehr vollbracht als das, worauf er jetzt reduziert wird.“ Den Ex-SPD-Chef aus der Partei zu werfen, nennt sie „Blödsinn, unsinnig sondergleichen“.

Ein Typ wie ihr „Basta-Kanzler“ Schröder, meint Schmidt, „könnte heute noch Wahlen gewinnen, weil er eine Ausstrahlung hat, die die Menschen erreicht. Die Art und Weise des Regierens ist heute eine andere“ …

Seit 2009 ist sie nicht mehr in der Politik aktiv, macht auch keinen Wahlkampf mehr für die SPD. Ihre „Bewegungsmöglichkeiten“ seien dafür zu eingeschränkt – „Arthrose“, sagt sie, Gelenkverschleiß, die Beine machen kaum noch mit. Sie geht, je nach Anlass, am Stock oder am Rollator. Fährt aber noch Auto („einen Audi Q3, Verbrenner“). „Solange ich keine Unfälle baue oder merke, dass es schwierig wird, werde ich weiterhin fahren.“

Als Schmidt 1980 in den Bundestag einzog, hatte sie Bammel vor den Großen: Brandt, Wehner, Schmidt – wer flößt ihr heute Respekt ein? Schmidt lacht: „Ich kenne die, die heute was zu sagen haben, aus ihren Anfängen. Die mussten erst was werden, ich war schon was.“

Aber einer fällt ihr ein: „Olaf Scholz und die Leistung, die er vollbringt.“ Sie sei zufrieden, „dass er uns mit großer Bedachtsamkeit in dieser gefährlichen Situation – Stichwort Ukraine – schützt und für das Interesse des deutschen Volkes sorgt. Also da bin ich schon froh, das flößt mir Respekt ein.“

BILD: Was halten Sie von Finanzminister Christian Lindner?

Schmidt: „Den finde ich zu parteipolitisch, zu wenig bereit, das Interesse der eigenen Partei auch mal links liegenzulassen und zu sagen: Was braucht jetzt das Land, und was braucht diese Koalition? Er ist der Heftigste, der immer auf der eigenen Position beharrt.“ Das sei ihr „manchmal etwas dünne“.

BILD: Wirtschaftsminister Habeck?

Schmidt: „Der macht einen guten Job, abgesehen von dem blöden Heizungsgesetz und der dilettantischen Vorbereitung. Auch da haben eben die Vorabsprachen nicht funktioniert. Das muss man vorher klären und nicht hinterher.“

BILD: Außenministerin Annalena Baerbock?

Schmidt: „Die trägt mir an manchen Stellen die Monstranz einer moralischen Außenpolitik zu hoch. Wir können nicht auf der einen Seite Moral fordern und am nächsten Tag losziehen und sagen: Liebe Saudis, gebt uns doch bitte günstig Energie oder grünen Wasserstoff. Das funktioniert nicht. Wir können auch nicht den Herrn Xi in China als ‚Diktator‘ beschimpfen und am nächsten Tag sagen: Wir möchten bitte schöne, gute Wirtschaftsbeziehungen, und eure Seltenen Erden brauchen wir auch. Das läuft so nicht!“

BILD: Verteidigungsminister Boris Pistorius?

Schmidt: „Macht auch einen guten Job. Mit Ausnahme seines Wortes mit der ‚Kriegstüchtigkeit‘. Ich möchte lieber bei Verteidigungsfähigkeit bleiben.“

Ex-Ministerin Schmidt im BILD-Talk mit Chefreporter Hans-Jörg Vehlewald (59). Das Gespräch fand in der SPD-Zentrale am Nürnberger Hauptbahnhof statt.

Ex-Ministerin Schmidt im BILD-Talk mit Chefreporter Hans-Jörg Vehlewald (59). Das Gespräch fand in der SPD-Zentrale am Nürnberger Hauptbahnhof statt.

Foto: Daniel Löb

„Pazifismus“ sei für sie weiterhin „kein Schimpfwort“, aber Waffen für die Ukraine müsse die Ampel-Regierung liefern – nur eben mit Bedacht, mit Rücksicht darauf, wie Putin reagieren könnte: „Ich weiß nicht, ob die jetzt versuchen, ins Hirnkastl von Putin einzusteigen“, aber Russlands mögliche Reaktion müssten Scholz und Pistorius einberechnen, findet die Ex-Ministerin.

BILD: Stichwort Demokratie: Was macht die Menschen so anfällig für AfD und Sahra Wagenknecht?

Schmidt: „Ich glaube, dass sich zu viele nicht wirklich wahrgenommen fühlen. Die Sorgen des Pendlers, der nicht in München wohnen kann, weil er sich dort die Mieten nicht leisten kann und der deshalb 60 Kilometer stadtauswärts zieht und zu seinem Arbeitsplatz in München pendeln muss. Der wird nicht überzeugt davon sein, dass er sich jetzt ein teures Elektroauto kaufen soll. Wovon soll er das bitte bezahlen? Der muss mit seinem alten Verbrenner in die Stadt und zurück, weil öffentliche Verkehrsmittel fehlen. Der fühlt sich häufig zu wenig angesprochen. Es täte uns gut, wenn wir vielleicht weniger diejenigen in den Großstädten im Auge hätten, sondern die Menschen, die versuchen, unser Land am Laufen zu halten. Das sind viele, und die müssen auch besser angesprochen werden.“

In Nürnberg hat Schmidt einen „Demokratiepakt“ gegründet: „Zammrüggn“ (Zusammenrücken) will parteiübergreifend (SPD, CSU, FDP, Grüne) bis Jahresende 100 000 Unterschriften sammeln – für Gemeinsinn, gegen Extremisten von Rechts oder Links.

Von 1991 bis 2000 führte Schmidt (hier 1998) die Bayern-SPD an, saß bis 2005 im Präsidium der SPD. Als Spitzenkandidatin in Bayern verlor sie zweimal gegen die CSU

Von 1991 bis 2000 führte Schmidt (hier 1998) die Bayern-SPD an, saß bis 2005 im Präsidium der SPD. Als Spitzenkandidatin in Bayern verlor sie zweimal gegen die CSU

Foto: picture-alliance / dpa

Ehrfurcht vor Willy: Schmidt in den 80er-Jahren mit SPD-Chef und Partei-Ikone Willy Brandt (†1992)

Ehrfurcht vor Willy: Schmidt in den 80er-Jahren mit SPD-Chef und Partei-Ikone Willy Brandt (†1992)

Foto: Erich Guttenberger / VNP

Schmidt-Kritik: Lob für Kanzler Olaf Scholz („bedachtsam“), Tadel für FDP-Chef Christian Lindner („etwas dünne“)

Schmidt-Kritik: Lob für Kanzler Olaf Scholz („bedachtsam“), Tadel für FDP-Chef Christian Lindner („etwas dünne“)

Foto: Michael Kappeler/dpa

Von „gut gemacht“ bis „dürftig“: Schmidt gibt den Ampelministern Annalena Baerbock (Außen), Boris Pistorius (Verteidigung) und Robert Habeck (Wirtschaft) sehr unterschiedliche Noten

Von „gut gemacht“ bis „dürftig“: Schmidt gibt den Ampelministern Annalena Baerbock (Außen), Boris Pistorius (Verteidigung) und Robert Habeck (Wirtschaft) sehr unterschiedliche Noten

Foto: Hans Christian Plambeck/laif

Vieles, was die SPD-Seniorin erzählt, klingt ein wenig nach „den guten alten Zeiten“. Doch die waren auch: reine Männerzeiten! Frauen waren damals in der Politik auf das Wohlwollen der Kerle angewiesen. Renate Schmidt setzte sich durch – mit Charme und, wenn nötig, mit großer Klappe: „Ich bin keine Anhängerin von Friede, Freude, Eierkuchen.“ Manchmal müsse man eben streiten und kämpfen.

Heute sagt sie über Männer: „Mit 20 wollte ich den Männern gefallen. Mit 30 wollte ich besser sein als sie. Und mit 40 waren sie mir wurscht …“

Im Ernst? „Natürlich möchte ich meinem Mann nach wie vor gefallen. Aber: Männer sind nicht mein Maßstab.“

Ihr Rat: „Wir sollten versuchen, gute, tüchtige und anerkannte Frauen zu sein. Und vielleicht den Männern mal empfehlen, uns Frauen als Maßstab zu nehmen.“

Lebt seit 1972 in Nürnberg: Renate Schmidt und ihr (zweiter) Ehemann, der Maler Hasso von Henninges (81). Zur Familie gehören drei Kinder, sieben Enkel und zwei Urenkel.

Lebt seit 1972 in Nürnberg: Renate Schmidt und ihr (zweiter) Ehemann, der Maler Hasso von Henninges (81). Zur Familie gehören drei Kinder, sieben Enkel und zwei Urenkel.

Foto: picture-alliance / dpa

Fast eine Stunde ist rum, die Ex-Ministerin weiß das, ohne auf die Uhr zu sehen: „Uhren habe ich nie gebraucht, ich weiß immer auf fünf Minuten genau, wie spät es ist. Sogar nachts: Wenn ich um 7 Uhr aufstehen muss, wache ich um 6.55 Uhr auf.“ Ähnlich schlicht: die Handtasche (kein Designer-Modell, „ein Gebrauchsgegenstand“), ihr Handy (Samsung) mit wenigen Apps.

Keine Armbanduhr – Renate Schmidt weiß auch so jederzeit, was die Stunde schlägt, erzählt sie.

Keine Armbanduhr – Renate Schmidt weiß auch so jederzeit, was die Stunde schlägt, erzählt sie.

Foto: Daniel Löb

Seit 52 Jahren kämpft Renate Schmidt in der SPD. Aus der aktiven Politik ist sie vor 15 Jahren ausgestiegen – sie wollte sich „unbekannt machen“. Nun hat sie sieben Enkel und zwei Ur-Enkel – und eine Gewissheit: Das von ihr als Bundesministerin auf den Weg gebrachte Elterngeld (schrieb sich CDU-Nachfolgerin Ursula von der Leyen auf die Fahnen) hat es auch ihren Kindern und Enkeln leichter gemacht, sich für Kinder zu entscheiden. Wichtiger aber: „Dass sie von Zuhause Zuversicht mitbekommen haben, Zuversicht, dass man das Leben meistern kann. Ohne diese Zuversicht kann man keine Kinder erziehen.“


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